Berlin, Deutschland (Jüdische Welt). Vier Dinge sind mir wichtig, wenn ich ein Restaurant besuche: Dass das Essen gut ist, dass es sauber ist und gemütlich und der Service stimmt. Jetzt habe ich mal wieder so einen Ort gefunden: Masel Topf, was soviel wie „glücklicher Topf“ bedeutet oder „gute Küche“. Koschere Küche findet man gegenüber der Synagoge Rykestraße nicht, aber „kosher style cuisine“.
Der Inhaber erklärt uns, wieso: aufgrund der jüdischen Speisegesetze hat man Milchiges und Fleischiges zu trennen, das betrifft auch die Töpfe, Geschirr und Besteck. Ein koscheres Restaurant kann also nur ein Zuschussgeschäft sein. Koscher kann man zuhause kochen – wenn man es kann und die Zutaten erhältlich sind. In einer Gaststätte benötigte man zwei Küchen, auch Personal bräuchte man dann mehr – praktisch gesehen unmöglich, meint der Chef, der selbst auch hebräisch gelernt hat (die Oma sprach jiddisch). Was möglich ist: vegetarische Gerichte anzubieten und beim Fleisch das koscherer Tiere, sowie Fisch. Auch die Getränkekarte kann Koscheres bieten, zum Beispiel Weine.
Die Realität verlangt Beachtung: Wie oft fährt man zum Abendessen mehr als 100 Kilometer? Das „Masel Topf“ hat, auch wenn es nach West-Berlin hineinstrahlt, wie jeder andere gastliche Ort in der deutschen Hauptstadt den Einzugsbereich Berlin plus angrenzende Orte – bei gut einhundert Plätzen. 45 draußen, genausoviele im Hauptgastraum und 15 Plätze an flexibel aufstellbaren Tischen im kuscheligen Separee. 60 sind also wetterunabhängig. Für diese Größe geht „100% echt koscher“ einfach nicht, aber unterhalb dieser Messlatte beginnt hier das Paradies. Selten wohl derjenige oder diejenige, der/die hierher nicht zurückkommen will.
Man kann sich Zeit nehmen und wird dabei gelassen. Dennoch ist im entscheidenden Moment die Bedienung zur Stelle.
Auf der Karte findet man schon bei den Vorspeisen alles, was das Herz begehrt. Wer das erste Mal kommt und in Begleitung isst, könnte zum Beispiel die Vorspeisenplatte „Berlin“ wählen, da ist von allem etwas dabei. Ansonsten stehen Latkes zur Auswahl – Kartoffelpuffer, Lachs und Chren (Meerrettich) – oder – sämtlich im gleichen Preisniveau – „Tel Aviv“, „Kiew“ und „New York“. Der liberale Mittelmeerhafen mit dem langen, oft heißen Strand wird hier mit leichtem, vegetarischen Essen assoziiert: Falafel, Hummus, paniertem Schafskäse, Auberginen, Avocado, kühlendem Limettenjoghurt, Sellerie mit Gemüsecreme, aber auch Hokkaidokürbis. Die US-Ostküstenmetropole bietet Auswandererfood wie Pastrami (geräuchertes Beef, hausgemacht) und Süßkartoffel-Pommes-Frites, Lachskaviar und Forellenmus, Kohlsalat natürlich, Apfelchutney, saure Gurken und marinierte Shiitakepilze. Die ukrainische Hauptstadt dient als Namensgeber für einen Antipastiteller mit Zucchiniröllchen und Farschmak, einem Heringstartar, Wareniki, den gebratenen, mit Erdäpfeln gefüllten Teigtaschen, gegrillten Miniaturpaprikas und gebackenem Ziegenkäse.
Alles, was man auf der Dauerkarte nicht findet, wird immer wieder sinnvoll durch saisonale Karten ergänzt. Das Monatsangebot September bot dementsprechend eine delikate Wildpilzsuppe mit Steinpilzen und Pfifferlingen, ein Zweierlei aus letzteren – Terrine plus Ragout –, das viel mehr wert war als der sprichwörtliche Pfifferling, oder eine gegrillte, mit Spinat gefüllte Dorade an Selleriepistazienpüree. Das Ragout wurde auch zur rosa Entenbrust gereicht, begleitet von Kräuterkartoffelstampf. Zum noch warmen Wetter passend auch Käsekuchen aus Manhattan mit Maracujagrütze und Minzeis oder ein Waldbeerenkompott aus Blau-, Brom- und Johannisbeeren. Dabei muss lobend erwähnt werden, dass die Karte nicht zu voll ist, aber trotzdem für verschiedene Gemütslagen genügend Spielraum lässt. Man weiß ja, ist die Speisekarte zu dick, kann unmöglich vieles selbstgemacht und alles frisch sein.
Bei den Suppen gibt es konsequenterweise Soljanka – im Osten Berlins häufig anzutreffen, hier aber über dem Durchschnitt –, Juch mit Knejdlach, wohinter sich eine Perlhuhnbouillon mit Matze-Geflügel-Bällchen und Spinat verbirgt, und als vegetarische Alternative Borschtsch mit weißen Bohnen.
Die Weinkarte streifen wir nur: Von der Golan Hights Winery wird ein Gamla angeboten, als Anbaugebiet nennt das Etikett „Galiläa“ in Nordisrael. Für Erbsen- oder Weintraubenzähler ist das ungenau, gehören die dem Weingut den Namen gebenden Golanhöhen doch zu Syrien. Sie wurden im Sechstagekrieg besetzt, 1973 von syrischen Truppen zurückerobert und anschließend wieder von israelischen. 40 Jahre Ruhe an dieser auch von UN-Truppen bewachten Grenzlinie in der Nähe von Damaskus ließen den Reben Zeit zu wachsen. Die Politik steht nicht auf der Karte. Ein veganer Rotwein aus dem Anbaugebiet Zichron Jaakov wurde auch nach Geschmackskriterien ausgesucht. Wie beim gesamten Angebot eine sinnvolle Zusammenstellung. Es ist merklich, dass Zug dahinter ist, sich jemand etwas dabei gedacht hat.
Menüs stehen drei zur Verfügung plus „Menu IV“, das deswegen so heißen könnte, weil es ab vier Personen bestellbar ist. Es heißt aber etwas irreführend „Minjan“ wie der Mindestmännerkreis, der erforderlich ist, um am Sabbat einen Gottesdienst abhalten zu können. Richtig an der Bedeutung ist die Mindestgröße einer Gruppe, eher falsch die Zahl, die im religiösen Gebrauch meist mit zehn Personen gehandhabt wird, wobei in modernen, liberalen Gemeinden auch Frauen mitzählen.
Auch bei den Menüs gibt es eine vegetarische Alternative, die amüsanterweise „Koscher nostra“ genannt wird. Nachdem im ersten Gang gegrillte Aubergine mit Sellerie, Hummus und süßer Sojasauce genossen werden kann, folgen Borschtsch, Wareniki und last not least Schokotörtchen mit flüssigem Kern und, also ob das noch nicht genug ist, Vanilleeis mit Sauerkirschsauce. Die Fleischmenüs heißen „Odessa“ und „Stettl“ (Schtetl). Die Hafenstadt am Schwarzen Meer steht für Pastrami, die erwähnte Juch mit Knejdlach, Gefilten Fisch und als Nachtisch Fluden: Kirschstrudel, Walnüsse, Rosinen und Eis.
Der Gefilte Fisch verdient nicht nur wegen des hervorragenden Konsistenz und wegen des Geschmacks eine Extraerwähnung. Die hier servierte Variante zeugt von Einfallsreichtum und erklärt an einem Gericht, was „koscher style“ bedeutet: Traditionell wird der Gefilte Fisch anders zubereitet, doch es geht hier eben nicht um das 100%-ige Festhalten am Koscheren und der Tradition. Kann man damit leben, ist aber etwas neues dabei herausgekommen, das höchst zufriedenstellend ist: Zanderfilet (statt Karpfen) mit gebeiztem Lachs, mit Spinat, Walnüssen, Apfelchutney, Bunte-Bete-Carpaccio, süßen Schalotten und „Khrensauce“ auf Meerrettichbasis.
Allem in allem wurde 2014 ein neuer schöner Ort geschaffen, der bequem und einladend ist, Gaumenfreuden inklusive. Jüdisch bedeutet allerdings nicht koscher, sondern ist eher als Geschmacksrichtung „jüdische Küche“ zu verstehen.
* * *
Restaurant Masel Topf, Rykestraße 2, 10405 Berlin, Telefon: +49 (0)30 443 17 525, Email: E-Mail: masel-topf@hotmail.com, Web: restaurant-maseltopf.de
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag: von 18 bis 24 Uhr, sonntags: von 10 bis 24 Uhr